"das almkeprojekt"
Das von mir initiierte almkeprojekt hat mich von Januar 2009 bis zum Dezember 2012 beschäftigt, in welchem Monat ALMKE - Geschichte eines Dorfes im Hasenwinkel als Buch erschien. Zur Entstehung des Buches und zur Historie von das almkeprojekt ist darin das folgende Gespräch zwischen mir und dem Co – Autor Eberhard Frey abgedruckt:
E.F.: Im Januar 2009 hast Du Dein „almkeprojekt“ im Ortsrat Almke – Neindorf vorgestellt.
C.B.: Achim Sievers war damals Ortsbürgermeister, und wir hatten uns kurz vorher darüber unterhalten. Er war von Anfang an ein großer Unterstützer, über ihn lief auch der erste Kontakt zum Stadtarchiv. Er meinte dann: „Krischan, ich glaube, es ist gut, wenn Du über Dein Projekt im Ortsrat sprichst, den Ortsrat müssen wir hinter uns haben.“
E.F.: Du sagtest in dieser Sitzung, ich notiere mir ja immer alles, dass Du Interviews mit Almker Einwohnern, eine Art Querschnitt durch die Bevölkerung machen möchtest, vom Alter, von den Berufen, auch von ihrer Herkunft her, also unterschiedlichste Biografien aufzeichnen möchtest. Es ging Dir außerdem um die Sammlung von Dokumenten, Aufzeichnungen, Briefen, Fotos – die Themen waren erstmal unbegrenzt. Die Interviews sollten gefilmt werden und aus diesem Material sollte u.a. eine Dokumentation, ein Buch, und/oder auch ein Dokumentarfilm entstehen. Achim Sievers stellte sich aber unbedingt eine „richtige Dorfchronik“ und nicht lediglich eine Interviewsammlung vor. Du sprachst auch von Dorfspaziergängen und Veranstaltungen, auf denen Materialien und Erkenntnisse vorgestellt werden sollten. Dein Wunsch war, in alle Aktivitäten möglichst viele Almkerinnen und Almker mit einzubeziehen. Der Ortsrat war beeindruckt und stellte Mittel für die Beschaffung einer Videokamera zur Verfügung. Außerdem sollte das Stadtarchiv Wolfsburg angesprochen und mit in die Arbeit eingebunden werden.
C.B.: Ich hatte Frau Dr. Schneider–Bönninger und Herrn Strauß vom Stadtarchiv bereits mein Konzept zukommen lassen. Die fanden das interessant und unterstützenswert und haben dann auch für finanzielle Unterstützung gesorgt. Die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv, später auch die Unterstützung von Herrn Muth als Kulturdezernenten und durch den Geschäftsbereich Kultur und Bildung verlief immer sehr gut. Wir hatten auch von Anfang an eine gute Presse. Über diese Ortsratssitzung als Auftakt wurde berichtet, und auf einmal war das „almkeprojekt“ in vieler Munde.
E.F.: Eine Almker Chronik war ja immer mal wieder im Gespräch, u.a. auch, weil die Stadt Wolfsburg den 40. Jahrestag der Gebietsreform, der Eingemeindung der Wolfsburger Dörfer, würdig begehen wollte. Für Neindorf hatte ich diese vorbereitende Arbeit übernommen und habe immer mal wieder nachgefragt, ob es in Almke jemanden dafür gäbe. Da war Erika Groß, die seit Jahren in Almke Material gesammelt und Aufzeichnungen über eigene Erinnerungen oder die von alten Almkern gemacht hatte. Frau Groß wurde dann schwer krank und konnte diese Arbeit nicht fortsetzen, sie hatte aber einen guten Anfang gemacht. In dieser Situation tratest Du dann mit Deiner Idee auf den Ortsbürgermeister zu, ich war da erstmal noch in einer Warteposition.
C.B.: Da trafen sich wohl Achims und meine Interessen und auch die vieler Almker.
E.F.: Ich denke auch, dass Du mit dem „almkeprojekt“ Deine bäuerliche Vergangenheit aufarbeiten willst und über Deine Almker Zeit ein Resumée ziehen möchtest, immerhin doch die Hälfte Deines Lebens. Du hast ja eine ausgeprägte Fähigkeit zum „Menschenbegegner“ und kannst Leute zu Inhalten und Erinnerungen führen, von denen manche gar nicht vermutet haben, dass sie sie hätten oder noch
hätten.
C.B.: Meine Idee beim „almkeprojekt“ ist, dass ich anhand der Geschichten und Erinnerungen des Einzelnen auch die Geschichte des Dorfes von 1850 bis in unsere Zeit erzähle. Das ist zunächst einmal der Zeitraum der mich interessiert. Auch wie die sogenannten großen Ereignisse in diesen 150 Jahren das Leben des Einzelnen bestimmt haben und veränderten: die Zusammenlegung der Gemeindeflächen um 1850, die Kaiserzeit, der Erste Weltkrieg, die Zeit der Weimarer Republik, der Nationalsozialismus. Dann der Zweite Weltkrieg, Flucht, Vertreibung, Gefangenschaft, Besatzung, wie wurden die Flüchtlinge aufgenommen usw. An all diese Ereignisse gibt es vielfach noch persönliche oder weitergegebene Berichte und Erinnerungen, die wollte ich sammeln und aufzeichnen. Der von Dir dann zusammengetragene und recherchierte heimathistorisch - wissenschaftliche Teil hat mich zunächst nicht so interessiert, den hätte ich mir auch nicht zugetraut.
E.F.: Als Du Dein Projekt 2009 im Ortsrat vorgestellt hast, war ich ja lediglich als Zuhörer anwesend. Achim Sievers wusste aber, dass ich das eine oder andere zu Deiner Arbeit beisteuern könnte, und so sind wir beide dann zusammengekommen.
C.B.: Das erste Interview führte ich Anfang 2009 mit Walter Widdecke, dem es damals gesundheitlich schon nicht mehr so gut ging – über die Geschichte der Familien Körtje und Widdecke, die über 150 Jahre die Almker Gastwirtschaft mit Poststelle und Landwirtschaft in Betrieb hatten. Walter starb noch im selben Jahr, dieses Gespräch ist ein sehr berührendes Dokument. Dann kamen meine Mutter und Kurt Voges an die Reihe. Ich habe mich erstmal an Vertrauten versucht, brauchte auch etwas Zeit, bis ich mich mit der Technik der Kamera auskannte. Dennoch ist mir das Missgeschick passiert, dass ich bei fünf Interviews vergessen hatte, das Mikrofon anzuschalten. Ich musste dann diese Gespräche wiederholen, und einige Zeitzeugen waren dann dazu nicht mehr bereit. Anfang Juni 2009 haben wir dann der Almker Öffentlichkeit in einer ersten Veranstaltung auf dem Saal der Almker Gastwirtschaft das „almkeprojekt“ vorgestellt. Das Motto der Veranstaltung lautete: „Das Leben ist eine Baustelle“. Wir haben Handzettel verteilen lassen, in der neuen Siedlung war ich in die einzelnen Häuser gegangen und lud persönlich ein. Auch kündigten die beiden Wolfsburger Tageszeitungen ausführlich unsere Veranstaltung an. Wir waren, glaube ich, sehr überrascht und froh, als tatsächlich 120 Leute kamen, auch sehr viele Jüngere dabei. Wir haben auf dem Saal ein richtiges Spektakel mit Fotowänden, historischen
Super – 8 – Filmen und mit der Vorführung von alten Radios, Spieluhren und Plattenspielern vorbereitet. Es gab Kaffee und Zuckerkuchen, viel zu sehen und zu hören, auch haben ein paar Almker Briefe vorgelesen. Ich war sehr aufgeregt. Das muss den Leuten aber gerade gut gefallen haben, dass alles ein wenig chaotisch ablief, – wir erlebten eine sehr positive Resonanz, auch von der Presse. Es folgte dann im September 2009 bereits eine zweite Veranstaltung, der Spaziergang „Almke liegt an viele kleine Teichen“, einem Zitat aus einem alten Schulaufsatz. Im Dorf waren an entsprechenden Stellen und Gebäuden Fotos und Dokumente ausgehängt, der Gesangverein wirkte mit, als aus der Schulchronik über die Jahrhundertfeier der Befreiungskriege 1913 zitiert wurde, und sang dazu: „Heil Dir im Siegerkranz.“ Erika Groß sprach als nunmehr 70-jährige noch einmal das Gedicht, welches sie 1952 zur Einweihung des Kriegerdenkmals als junges Mädchen aufgesagt hatte. Wir haben uns immer ein paar „Highlights“ ausgedacht, es hatte auch ein wenig was mit Theater und Überraschung zu tun. Ich glaube, dass die Leute auch darum zu uns gekommen sind.
E.F.: … um Dich als Schauspieler in Aktion zu sehen (lacht), jaja.
C.B.: … oder weil da auf einmal an der Straße der alte Schulofen stand, den sie zuletzt vor 50, 60 Jahren gesehen hatten und eine letzte Almker Schulbank. Während all dieser Zeit führte ich die Interviews weiter. Es fanden Treffen im Stadtarchiv mit nunmehr Frau Placenti–Grau als Institutsleiterin, Herrn Nedelkovski und immer Herrn Strauß, der ein fester Pol ist, statt. Alle paar Wochen war ich längere Zeit in Almke, was mir gar nicht so leicht fiel: Seit 25 Jahren lebe ich in anderen Zusammenhängen, bin woanders integriert. Viele der dörflichen Veränderungen, die unsichere Zukunft z.B. der kleineren und größeren Höfe, haben mich oft doch sehr bedrückt, auch die Zukunft unseres Hofes, manches persönliche Schicksal im Dorf. Weitere Veranstaltungen waren: „Der Winter ist vergangen“ im März 2010, worin wir uns u.a. mit Flucht und Vertreibung, Nachkriegszeit und dem Zusammenleben von Einheimischen und Flüchtlingen befassten. Es folgte wieder ein Dorfspaziergang „Die Trendel runter und dann links“, wobei es u.a. um die Siedlung und die kleinen Leute ging. Es hat in Almke nie so stark diese Hierarchie des Besitzes wie in manchen anderen Orten gegeben. In der Siedlung haben wir einige der ersten Siedlerfrauen angesprochen – die haben sich da auf eine Bank gesetzt und erzählten davon, wie man in Almke ab 1965 endlich bauen durfte, wie sie damals Steine schleppten und erstmal in der Garage wohnten. Die haben doch dann noch Schnaps an die Zuschauer ausgeschenkt und Margot Klages hat gesungen. Im September 2011 hatten wir unsere vorerst letzte Veranstaltung: „Zwischen Himmel und Hölle“, worin es in der Hauptsache um die Almker Schule und Kapelle ging.
E.F.: Was für mich interessant war, dass die Leute aus mehreren Motiven gekommen sind: Sie wollten zuerst etwas über das Dorf erfahren, zweitens war da der Christian Bormann, den wollten sie in Aktion sehen, und schließlich begegnete man sich untereinander. Man merkte, „das almkeprojekt“ war so richtig Dorfgespräch. Da trafen sich Alt und Jung und sprachen miteinander, was auch im Dorf nicht mehr so die Regel ist. Auch, dass wir Leute oft mit einbezogen haben, dass es so persönlich war … das ist für alle Beteiligten sehr reizvoll gewesen.
C.B.: Ich konnte immer jeden ansprechen, das stimmt, da hat sich keine Tür verschlossen. Eine wirkliche Mitarbeit hat sich allerdings aus meiner Sicht kaum ergeben -
E.F.: Das finde ich überhaupt nicht, – die Leute sind doch da, wenn Du sie brauchst und wenn sie was hatten, dann haben sie die Sachen an Dich herangetragen oder haben sie mitgebracht auf den Saal. Vielleicht liegt es auch daran, dass unsere Veranstaltungen immer auch einen Unterhaltungscharakter hatten: Eine Bühne ist nicht jedermanns Sache, meine übrigens auch nicht. Es ist ganz wichtig, dass die Stimmung so bereitwillig ist - das habe ich sogar als Nicht-Almker gemerkt, wie alle mir sehr wohlwollend entgegenkamen, wenn ich etwas über all das gefragt habe, was ich in meiner Neindorfer Schreibstube herausgefunden hatte, und womit ich nicht weiterkam. Das „almkeprojekt“ ist schließlich auch über Almke hinaus bekannt geworden.
C.B.: Verzeih bitte, dass ich ein „Mäkelkopp“ bin …
E.F.: Was hast Du denn jetzt persönlich bei Deiner Arbeit hier gewonnen?
C.B.: Ich habe gemerkt, dass ich bei aller Verwurzelung im Ort letztlich doch Außenseiter geblieben bin. Darüber hinaus habe ich die wichtige Erkenntnis gewonnen, einen wichtigen Abschnitt meines Lebens zu einer Art Abschluss bringen zu wollen. Außenseiter-Erfahrung ist mir in Almke nicht fremd: Als ich vor 25 Jahren aus dem Dorf wegging und mein Bruder unseren Hof übernahm, ging damit ja auch die Idee, unseren Hof auf biologischen Anbau umzustellen und ihn in Form einer Betriebsgemeinschaft in Verbindung mit sozialer Arbeit zu bewirtschaften. Das war damals nicht zu verwirklichen. Ich stand ziemlich allein da mit diesem Vorhaben und wurde nicht nur von meiner Familie mit diesem ökologischen Plan sehr in Frage gestellt. Anfang der 1980er Jahre stand auch die konventionelle, mittelständische Landwirtschaft noch viel sicherer da als heute. Ich glaube durchaus, dass die Leute mich mochten, ich war verlässlich und gut beim Arbeiten als Bauer. In der herkömmlichen Landwirtschaft war ich akzeptiert. Darüber hinaus war aber immer ein Fremdeln da, von meinen Ideen wusste man wenig. In meiner Generation war eigentlich niemand, mit dem es näheren Kontakt gab. Ich war immer gern mit älteren Leuten zusammen, und in einer Hochzeitszeitung aus dem Jahre 1975 war mal das Folgende über mich zu lesen, damals war ich 23 Jahre alt:
Krischan geht des abends aus,
man sieht ihn kaum einmal zuhaus’ -
doch von Januar bis Silvester
nur die ältesten Semester.
Sobald Euch Eure Zähne fehlen
wird er Euch zum Freund erwählen,
quetscht Euch nach Strich und Faden aus,
und geht erst morgens Früh nach Haus.
E.F.: Wenn man solange weg ist und so intensiv wie Du woanders gelebt hat – München, Rumänien, Wien, Berlin – dann kann man wohl nicht mehr voll zu diesem Kinderzeiten-Ort dazugehören. Eure Familie ist hier bekannt, sehr stark immer noch durch Deinen Vater, „das ist doch der Sohn von Wilhelm Bormann“, dann die Sache mit der Penne damals, Deine Theaterauftritte auch hier in der Gegend. Nein, nein – Du gehörst schon dazu und man bringt Dir viel Interesse und Vertrauen in Deinen Sachen entgegen. Aber: In gewisser Hinsicht nimmst Du auch einen Abschied.
C.B: Ich wünsche mir, dass unsere Chronik ein offenes Buch bleibt, dass andere daran weiterarbeiten, dass die „Akte Almke“ nicht geschlossen wird, auch wenn 2012 unsere Chronik erstmal abgeschlossen ist. Ich werde sicher zunächst daran nicht weiterarbeiten, auch wenn ich mir vorstelle, die Interviews und Fotos einmal als Ganzes zu veröffentlichen. Das gleiche gilt auch für das gefilmte Material. Ich kann mir vorstellen, immer mal wieder eine Veranstaltung in Almke anzubieten, die was mit Musik, Theater, Geschichte und Geschichten zu tun hat, gucken wir mal.
E.F.: Du schaust Dir ja, genauso wie ich als Heimatforscher, Material an, guckst hier, guckst da, ziehst Deine Schlüsse. Aber auf Dinge, die in Papieren und Büchern nicht auftauchen, darauf kommst Du nicht unbedingt, wenn Du von den Menschen nicht darauf gestoßen wirst oder sie Deinerseits ansprichst. Und das finde ich das Großartige am „almkeprojekt“, dass durch die Gespräche und das Zusammentreffen mit Zeitzeugen Vermutungen zur Wahrheit werden können.
C.B.: Erinnerst Du Dich, dass in meinem ersten Konzept, auch von einem Haus die Rede war, von einem Ort jedenfalls, wo sich alles Zusammengetragene versammeln könnte, das Sichtbare, das Unsichtbare. Wo Geschichten und Erinnerungen an ein „Damals“ genauso Platz haben, wie alles „Heutige“. Das wäre mir noch ein Anliegen.
E.F.: Da wäre dann die Kommune sehr gefragt …
C.B.: Glaube ich nicht, in der Hauptsache kommt es auf die Idee und Initiative aus dem Dorf an, so wie wir ja auch mit unserer Sache einfach angefangen haben. Und dann damit entsprechende Stellen kontaktieren und um Unterstützung werben. Sicher spielt auch Geld eine Rolle, aber wichtig ist immer erst die Vision von einer Sache. Jetzt nur mal so dahin fantasiert: Die alte Bäckerei z.B. in Almke oder auch die Gebäude der Gastwirtschaft, das sind doch wunderbare Orte, die vielleicht auf eine neue Nutzung warten. Eine Kombination der verschiedenen, auch sozialen Möglichkeiten müsste gegeben sein: Gasthaus, Wohnung, Raum für Begegnung und Kultur. Die Idee dazu müsste allerdings aus Almke heraus kommen, das hat ja auch Achim Sievers in seinem Interview gesagt. Und wir selber haben doch gute Erfahrungen mit unserer Idee „almkeprojekt“ gemacht.